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Geheimdiensttagung – Einsichten, Fakten und Mythen

Seit Mai 2010 betreibt die Außenstelle Raabs an der Thaya des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung gemeinsam mit dem Institut zur Erforschung totalitärer Regime in Prag (Ústav pro studium totalitních režimů) ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der „Rolle der tschechoslowaksichen Geheimdienste in Österreich im Kalten Krieg“.

Bislang konnte der allergrößte Teil der Österreich-relevanten Akten aus dem Archiv der Sicherheitsdienste (Archiv bezpečnostních složek) in Prag und Kanice/Kanitz gehoben und für die weitere Erforschung gesichert werden. Ein Team von 10 österreichisch und tschechischen Forschern konnte auf Basis dieses Material bereits wichtige Einsichten in dieses dunkle Kapitel der österreichisch – tschechoslowaksichen Nachbarschaft erlangen.

Die Außenstelle Raabs an der Thaya des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung veranstaltete nunmehr in Zusammenarbeit mit dem Institut zur Erforschung totalitärer Regime und dem Archiv der Sicherheitsdienste Prag am 8. und 9. März in Raabs an der Thaya eine wissenschaftliche Tagung zur Thematik. Erstmals tauschten sich hier die wichtigsten Forscher zur brisanten Thematik aus, verglichen und diskutierten Ergebnisse. Fakten wurden auf den Tisch gelegt und Mythen hinterfragt.

 

Am Eröffnungstag der Veranstaltung, die unter der Schirmherrschaft der Außenminister der Republik Tschechien, Karl Schwarzenberg, und der der Republik Österreich, Michael Spindelegger, stand, belegten die Reden der diplomatischen Vertreter Österreichs, Tschechiens und der Slowakei die Bedeutung dieser Tagung für die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte aber auch die Notwendigkeit des verantwortungsbewussten Umgangs mit den von den Forschern eingesehenen Materialien.

 

Musikalisch begleitet wurde die Eröffnung von den Zitherklängen Wilhelm Neubauers, der mit Stücken von Anton Karas aus dem Film „Der dritte Mann“ das Thema der Tagung treffend einleitete.

 

 

 

Der zweite Tag der Veranstaltung war ganz der Wissenschaft gewidmet. In einem ersten Panel präsentierte Philipp Lesiak einen umfassenden Überblick über die von seinem Forschungsteam eingesehenen Aktenbestände.

Laut ihm würden die abertausenden Dokumentenseiten von ihren Umschlagstiteln vielfach mehr versprechen, als sie dann tatsächlich enthalten. Intensive Recherchen hätten dann aber doch signifikante Ergebnisse zu Tage gefördert. So betonte er etwa die Konzentration der tschechoslowakischen Geheimdienste auf Themen, die mit der Vertreibung der Sudetendeutschen zusammenhingen und der delikaten Frage, wie man mit österreichischen Staatsbürgern auf tschechoslowakischem Gebiet unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges umgehen sollte. Weiters stellte vor allem die Zeit des „Prager Frühlings“ einen Höhepunkt in der Konzentration der tschechoslowakischen Geheimdienste auf Österreich dar, als zahlrieche österreichische Beamte als Informanten der tschechoslowakischen Staatssicherheit zugearbeitet hätten. Zahlreiche Skandale und auch Verhaftungen von Informanten der tschechoslowakischen Dienste, aber auch des BND waren die Folge, so etwa jene der (ehemaligen) Staatspolizisten Johann Ableitinger und Norbert Kurz oder der Bundesbeamten Josef Adamek und Karl Erwin Liechtenecker. Nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ wären vermehrt Österreichische JournalistInnen ins Visier der tschechoslowakischen Spione geraten, welche sich teils sehr blauäugig in Wiener Lokalitäten mit Vertretern der tschechoslowakischen Botschaft – die zu einem großen Teil mit Geheimdienstmitarbeitern besetzt war – zu Gesprächen getroffen hätten. Die Brisanz der dabei übermittelten Informationen wäre zwar gering gewesen, dich die tschechoslowakischen Geheimdienste hätten sie intern als durchaus brauchbar bewertet, vor allem auch zum Zwecke der „Desinfomation“. Andere österreichische JournalistInnen wären wegen Ihrer Unterstützung für die Opposition in der Tschechoslowakei und die Menschenrechte von den Geheimdiensten überwacht worden. In den 1980er Jahren wäre es dann vermehrt zur Wirtschaftsspionage gekommen, wobei man auf Fälle gestoßen wäre, bei denen sogar Konstruktionszeichnungen von in Österreich entwickelten Maschinen weitergegeben worden wären.

Prokop Tomek und Matej Medvedcký rundeten das Panel mit Vorträgen zu den zahlreichen Entführungen ab, welche die tschechoslowakischen Geheimdienste auf österreichischem Staatsgebiet vor allem in den 1950er Jahren durchgeführt hätten. Mit teils spektakulären Aktionen hätte man auf diesem Weg dutzende Tschechoslowaken, die dem seit 1948 kommunistischen Regime zu entkommen trachteten, wieder zurück in die Tschechoslowakei entführt. Teilweise wären diese Aktionen auch vom NKWD, dem Geheimdienst der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich, unterstützt worden. Die Entführten hätten in der Tschechoslowakei zunächst eine Erklärung unterscheiben müssen, dass sie freiwillig zurückgekehrt wären und wären dann zumeist zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Nachdem Österreich mit dem Staatsvertrag von 1955 seine Souveränität wiedererlangt hatte, hätte die Anzahl dieser Entführungen drastisch abgenommen, allerdings kam es auch noch später vereinzelt zu Entführungen aus Österreich.

Das zweite Panel der Tagung widmete sich dem Thema der Grenze und des „Eisernen Vorhangs“. Kateřina Lozoviuková präsentierte zunächst das ausgeklügelte System an Zäunen, Stolperfallen, Wachtürmen Wachhunden oder Alarmanlagen, mit dem die Österreichische-Tschechoslowakische Grenze zu einem der gefährlichsten Abschnitte des gesamten „Eisernen Vorhangs“ ausgebaut worden wäre. Trotzdem hätten zahlreiche Menschen versucht diese Grenze zu überschreiten – sei es als Flüchtling vor dem repressiven System des Ostblocks, als Schmuggler von Informationen, Gütern oder auch Menschen oder Agent für die zahlreichen Geheimdienste aus Ost und West. Neben den über 600 tschechoslowakischen Grenzsoldaten, die an dieser Grenze vor allem durch Unfälle ihr Leben verloren hätten, gäbe es aber auch über 100 Fälle, in denen Zivilisten den Versuch diese Grenze zu überschreiten mit ihrem Leben bezahlt hätten.

Auch Libor Svoboda widmete sich der Grenzthematik. Er schilderte Fälle, bei denen Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei vor 1955 von österreichischen Zollbeamten angehalten und an den NKWD übergeben worden wären. Nachdem die sowjetische Besatzungsmacht die eigentliche Kontrolle in Ostösterreich ausübte, wäre ein solches Vorgehen nicht überraschend gewesen. Der NKWD hätte dann diese Menschen verhört und meist wieder zurück in die Tschechoslowakei deportiert. Dort wären sie oftmals zu langen Gefängnisstrafen und in einigen Fällen sogar zum Tod verurteilt worden.

Beendet wurde das Panel von einem Film über das Verschwinden zweier österreichischer Angler 1956, deren Schicksal erst 2009 aufgeklärt werden konnte. Zusammen waren beide in der Nacht an die Thaya angeln gegangen, wobei sie auf die tschechoslowakische Flussseite wechselten. Dort wurden sie von Grenzsoldaten gestellt und als sie zurück nach Österreich zu entkommen trachteten erschossen. Erst durch die langwierige und umfangreiche Recherche des Bürgervereins „Gedächtnis“ konnten die betreffenden Akten in den Archiven in Prag und Kanitz gefunden und ausgewertet werden. Sogar das Massengrab, in dem die beiden Angler schlussendlich beigesetzt wurden, konnte festgestellt werden. Drei Vertreter des Bürgervereins bzw. die Filmemacher Miroslav Kasáček, Luděk Navara und Milan Vojta, stellten sich im Anschluss einer sehr emotionalen Diskussion.

Das letzte Panel der Tagung trachtete danach die Chancen aber auch die Gefahren beim Umgang mit den Geheimdienstdokumenten zu beleuchten. Die Direktorin des Archivs der Sicherheitsdienste in Kanitz, Světlana Ptáčníková, und der Archivar des Archivs der Sicherheitsdienste, Petr Dvořáček, führten die umfangreichen Bestände an, die in ihrer Institution aufbewahrt werden, deren Bearbeitung jedoch sowohl aufgrund technischer Schwierigkeiten – so könne man sich nicht einfach auf die diversen Findbücher verlassen sondern müsse systematisch die ganzen Bestände durchsehen – als auch aufgrund der oftmals schwierigen Interpretation der darin enthaltenen Informationen sehr aufwendig wäre. Alleine der Aktenbestand zur tschechoslowakischen „Residentur“ (Geheimdienstzentrale) in Wien, der im Rahmen des Panels von Pavel Žáček vorgestellt wurde, wäre in seinem Umfang enorm und böte noch viele Betätigungsfelder für die tschechischen und österreichischen Forscher. Dieter Bacher schaffe es am Ende des Panels die tschechischen Kollegen mit spannenden Informationen zum tschechoslowakischen Geheidienst, allerdings aus britischen und amerikanischen Geheimdienstquellen, zu überaschen. Damit wurde aufgezeigt wie dringend notwendig es wäre, das umfangreiche tschechoslowakische Material mit westlichen Quellen aus Österreich, den USA, Großbritannien aber auch Deutschland abzugleichen bzw. zu ergänzen.

Am Abend des zweiten Tages wurde die Veranstaltung von einem Vortrag von Siegfried Beer zu den Hintergründen des Films „Der dritte Mann“ abgerundet, der in detektivischer Manier nachzuweisen trachtete, dass sowohl die Macher des Films als auch eine große Zahl der Mitglieder der Filmcrew einen geheimdienstlichen Hintergrund gehabt hätten und der Film eine Parabel auf den „größten Spion“ des 20. Jahrhunderts, Kim Philby, sei.

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